Auf der Suche nach einem Geist


Letztes Jahr hatten mein Fotopartner und ich großes Glück an einem schön gelegenen Dachsbau und wir sind zu großartigen Bildern gekommen. In Absprache mit der Revierleiterin diesen Forstrevieres und dem Jagdpächter wollten wir dieses Jahr wieder dort ansitzen, um vielleicht die Welpen schon sehr früh vor die Kamera zu bekommen.

Nachdem ich eine Wildkamera zur Vorbereitung installiert hatte, war ich sehr erstaunt, als die Dachse ausblieben und stattdessen ein Pärchen Marderhunde den Dachsbau offensichtlich als ihre neue Behausung auserkoren hatten.

Einen Marderhund in freier Wildbahn vor die Linse zu bekommen, ist nicht einfach. Er lebt sehr zurückgezogen und meidet die Menschen. Klein und unauffällig streift er durch den Wald. Ein Tanuki, ein Kobold, ein Geist.

Für mich war es eine einmalige Gelegenheit, diesen Geist vor meine Kamera zu bekommen. Rechtzeitig stellte ich das Tarnzelt in Baunähe auf, damit die Tiere sich an den Anblick gewöhnen und Zelt wie auch Tarnnetz langsam den Geruch des Waldes annehmen können.

 

Manchmal kommt es anders

Leider war fast der ganze Mai gekennzeichnet von Baumfällarbeiten. Schwere Erntetechnik war im Einsatz bei der selektiven Entnahme großer Bäume. Zwar wurde der Bereich um Dachsbau und Zelt, wie zugesagt, ausgenommen, aber der Lärm und die tägliche Anwesenheit von Menschen hat die Marderhunde aus dem Bau vertrieben. Mein Fotopartner und ich hatten die erhofften Bilder schon abgeschrieben, als auf den nunmehr zwei Wildkameras wieder Aufnahmen von manchmal zwei, meistens aber nur von einem Tier auftauchten. Wir versuchten, ein Schema zu entdecken, wann die Chance, einen Marderhund am Bau zu fotografieren, am größten sind, mussten das aber aufgeben. Es gibt keine Regelmäßigkeit in seinen Besuchen. Er kommt nicht täglich und immer zu verschiedenen Zeiten. Hier kann nur Glück helfen, ganz großes Glück!

 

Stille Migration

Der Marderhund, auch Enok oder, wie in seiner japanischen Heimat, Tanuki genannt, ist ein Vertreter aus der Familie der Hunde. Nicht zu verwechseln mit unseren Haushunderassen, ist er ein echter Wildhund. Davon gibt es auf unserer Erde nur fünf Arten, zwei in Asien, eine in Afrika und zwei in Südamerika. In den 1950er Jahren wurden in der damaligen Sowjetunion massenhaft Marderhunde aus dem fernöstlichen Teil des Landes ausgesetzt, um ihre Felle in großem Maßstab gewinnen zu können. So hat der Kobold nach und nach ganz Europa besiedelt. Leise und unauffällig wie ein Geist. In den 1960er Jahren hatte er Deutschland erreicht, Anfang der 1990er Jahre gab es, begünstigt durch die erfolgreiche Bekämpfung der Tollwut in der ehemaligen DDR, eine zweite große Welle, die innerhalb von zwei Jahren von der Ostgrenze Vorpommerns das Herz von Schleswig-Holstein erreicht hatte. Der Marderhund wurde als Neozoon und erklärter Schädling für die heimische Fauna in das Jagdrecht aufgenommen und kann das ganze Jahr bejagt werden. Seine heimliche Lebensweise hat ihn vielleicht gerettet. Marderhunde leben monogam und sind standorttreu, wenn sie eine ruhige Behausung gefunden haben. Beide kümmern sich um die Aufzucht und die Versorgung der Welpen.

 

Geduld und Sitzfleisch 

Wir haben nun abwechselnd oder zu zweit auf diesen Geist des Waldes angesessen. Wir streuten auch unsere Zeiten, um irgendwann einmal erfolgreich zu sein. Früh morgens halb Vier bis um Elf, abends von achtzehn bis zweiundzwanzig Uhr, auch mal von vierzehn Uhr bis zur Dunkelheit. Ich habe im Lauf der Wochen etwa sechzig Stunden im Zelt verbracht, mein Partner auch ein ganze 40-Stunden-Woche. Das Glück war dann doch einmal auf unserer Seite! Einmal bekamen wir den Rüden vor die Kamera. Er nahm sich von den ausgelegten Apfelstückchen ein großes und verschwand dann wieder in den Brombeeren. Für etwa dreißig Sekunden hatten wir die Gelegenheit, ihn im Tagesrestlicht zu fotografieren. Eine Handvoll Bilder, das war die ganze Ausbeute. Hat sich der Aufwand gelohnt? Ich sage für mich, ja! Auch wenn wir die Fähe nicht zu Gesicht bekamen, keine Welpen, kein Leben am Bau, so war es doch etwas Besonderes, Bilder von diesem heimlichen Tier machen zu können. Wer weiß, ob das Pärchen die folgende Jagdsaison überlebt.

 

Ein Plädoyer für den Kobold

Als der Marderhund in unserer Landschaft ein neues Zuhause suchte, ging ein Aufschrei durch die Jägerschaft. Das ganze Niederwild, von Kaninchen und Hase bis zu Rebhuhn und Fasan wären dem Untergang geweiht. Zu Unrecht! Sicher, der Tanuki hat hier keine natürlichen Feinde wie Wolf, Bär und Luchs, die seine Verbreitung eindämmen würden. Dafür haben wir Menschen in Mitteleuropa schon gesorgt. Mit Sicherheit lässt er auch kein Vogelnest unbeachtet, wenn er es findet. Er besetzt aber nur die Nischen, die seine Nahrungskonkurrenten wie Fuchs, Dachs, Marder und auch der wiedergekehrte Wolf ihm lassen. In den 1990er Jahren kam es zu einer Welle in der Besiedlung Deutschlands, die Population steig rasch an und ein Marderhund in der Strecke war keine Seltenheit mehr. Die Furcht vor dem Kahlschlag in der heimischen Vogelwelt wurde wieder laut. Doch die Natur weiß sich selbst zu helfen. Eine große Populationsdichte sorgt für mehr Kontakt der Individuen zueinander und damit zu einer viel größeren Gefahr, Krankheiten zu übertragen. So haben Staupe und Räude in den Jahren dafür gesorgt, dass sich der Tierbestand bei Marderhunden, Füchsen und auch Wölfen auf ein Maß, dass das Überleben der Art sichert, zu einem Teil selbst reguliert hat.

Der Marderhund hat seinen Platz in unserem Ökosystem gefunden. Auch wenn ihn nicht jeder als Bereicherung sieht, werden wir mit ihm leben müssen. Jedenfalls bin ich froh, dass wir ihn gefunden haben und bin ein bisschen stolz, dass ich diesen Geist des Waldes auf den Chip bannen konnte.

 


© FennFotografie 2024 Andreas Buchholz